stenographique

nichtraucherschutz: bayern vs. indonesien

In meinungen, miscellaneous on 07/07/2010 at 09:07

ein jammern geht quer durch’s schwarz-rot-goldene jubelland – und zwar unmittelbar vor einem spiel unserer wunderknaben in südafrika. nicht das spanische schreckgespenst david villa ist dafür verantwortlich. auch nicht die tatsache, dass gerade eine tätowierte first lady ins schloss bellevue einzieht. das votum der bayerischen bergbevölkerung gegen das rauchen an öffentlichen orten vom 4.7. ist der verursacher.

omnipräsent in allen medien und talkshows ist seitdem sebastian frankenberger (siehe foto, quelle: nichtraucherschutz-bayern.de) und hat sich damit erfolgreich zum uli hoeness der rauchenden bevölkerung entwickelt. seine „drohung“: das rauchen soll nun auch in anderen bundesländern per volksentscheid unter seiner leitung verkompliziert und flächenweise verboten werden. ein bayer, der seine freistaatlichen überzeugungen auf den rest der republik übertragen will – kein besonders beliebtes konzept. mit dem leicht androgynen frankenberger würden aus diesem grund vermutlich viele raucher ähnlich gerne ein bier trinken gehen, wie der fanclub von schalke 04 mit andi „die schwalbe“ möller.

wichtig: an dieser stelle soll weder die bedeutung des nichtraucherschutzes heruntergespielt werden, noch soll ein hohelied auf das rauchen an sich gesungen werden. aber: ein blick nach indonesien hat mir gerade gezeigt, auf welchen niveau in deutschland derzeit populistischer nichtraucheraktionismus betrieben wird. die parallele mag im ersten moment überraschen, jedoch ist indonesien nach den beiden überländern indien und china mit rund 60millionen rauchern die drittgrößte nikotin-nation und eignet sich demnach gut, um zu zeigen, wie anderswo geraucht wird. klickstu

die indonesische regierung hat auf das drängen vieler gesundheitsorganisationen wie clean air oder der WHO reagiert und erstmals weitreichende gesetze zum schutz der nichtraucher an öffentlichen orten erlassen, nachdem im stadtgebiet von jakarta bereits vor 5 jahren das rauchen unter androhung drakonischer strafen verboten worden war, diese auflage aber nie ernsthaft durchgesetzt wurde. der grund: rund die hälfte der staatsbediensteten rauchen laut swisscontact selbst und weigern sich, ihre mitbürger gegen die eigenen überzeugungen zu maßregeln!

geraucht wird in indonesien überall: in einkaufscentern, restaurants, büros, sogar in umkleidekabinen – bevorzugt nelkentabak („kretek“) des lokalen marktführers gudang garang. und wo geraucht werden darf, darf auch für’s rauchen geworben werden. die gerade erwähnte marke ist unter anderem einer der hauptsponsoren der indonesischen fussball-liga – einen widerspruch sieht darin niemand. mittendrin: konzerne wie philip morris, der kürzlich den drittgrößten kretek-hersteller sampoerna für 4,8mrd dollar übernahm.

aber was sind branchenzahlen, statistiken oder gesetze gegen ein bild von großer symbolkraft, das einen fassungslos auf den monitor starren lässt? dieses bild sieht so aus (quelle: afp):

es zeigt den zweijährigen ardi rizal, der seit dem alter von 18 monaten (nicht jahren!) täglich rund 40 zigaretten köstlichen nelkentabak raucht. bekannt wurde der bengel, als ein angehöriger ihn beim inhalieren filmte und das material online für die welt bereitstellte (link zum video für alle voyeure unter euch: hier). die arglosen eltern hatten dem eineinhalb jahre alten kleinkind ohne sorgen seine erste zigarette angeboten und seinem betteln nach mehr nikotin fortan stets nachgegeben. über die risiken des rauchens ist in indonesien anscheinend niemand aufgeklärt!

jetzt die guten nachrichten: der kleine ardi ist mittlerweile (im alter von 25 monaten) in eine entzugsklinik eingeliefert worden und hat es geschafft, seinen täglichen konsum auf rund 20 zigaretten zu drosseln – man hat ihm mit einigen spielzeugen und bällen einfache und altersgerechtere alternativen angeboten. außerdem muss auch infolge der neuen entwicklungen zum nichtraucherschutz niemand in indonesien übertriebene einschränkungen fürchten – der status der anti-raucher-kampagnen ist weiterhin eher als embryonal zu bezeichnen. und letztlich: das beispiel zeigt, dass wir in deutschland auf sehr hohem niveau jammern und agieren – hierzulande geht es weitestgehend darum, die verbliebenen refugien der raucher weiter einzugrenzen. ich bin selbst nichtraucher und schätze das passionierte und nachdrückliche engagement von herrn frankenberger sehr – würde ihm aber einen auslandsaufenthalt in jakarta empfehlen… blühende wiesen für einen ritter im kampf gegen den blauen dunst!

  1. ich bin auch nichtraucher, hähä-gut gemacht junger padavan!

  2. als nächstes sollte laute musik in clubs verboten werden. ist ja auch schädlich und so.

    ich bin auch nichtraucherin, aber liberal genug, dass ich von solchen einschränkungen nicht viel halte.

  3. Und der Alkohol? Der ist nicht minder schädlich! http://yigg.it/x9yrd

  4. Beim Alkohol kann ich mir aber selbst aussuchen, ob ich mich vergiften will oder nicht. Den schleichenden Totschlag durch passives Rauchen kann ich mir hingegen nicht aussuchen, da muss man als Nichtraucher ja tolerant sein.

  5. dann kannst du dir auch genauso aussuchen, ob du in eine raucherkneipe gehst… warum also nicht den wirt entscheiden lassen, ob in SEINER kneipe geraucht werden darf?

  6. Genau, weil ich keine Lust auf Rauch habe, bin ich als Nichtraucher gezwungen auf Kneipen zu verzichten. Aha. Sehr tolerant.

    Denn „Nichtraucherkneipen“ gibt es nicht. Nicht ohne Verbot.

    • so, und genau das ist der unterschied zwischen dem status quo (sowohl nichtraucher- als auch raucherkneipen) und dem, was in bayern gerade durchgesetzt werden soll. „tolerant“ ist nämlich das gegenteil eines totalen verbots – oder?!

  7. Der Status quo sieht aber anders aus. Nahezu alle kleinen Kneipen, sprich Lokale wo man nichts zu Essen bekommt, sind Raucherkneipen. Und auch ich gehe gerne in eine Kneipe, allerdings nicht, wenn ich danach stinke wie ein Aschenbecher. Insofern freu ich mich sehr auf August. Ich sehe einfach keinen Grund, warum die Toleranz nur von Nichtrauchern geübt werden soll.
    Und das „totale Verbot“ kommt, das wird gerne mal vergessen, direkt vom Volk.

  8. naja, genaugenommen kommt das „totale verbot“ eben nur von einer mehrheit, die die (rauchende) minderheit in diesem konkreten fall bevormundet. verstehe mich nicht falsch, ich bin selbst nichtraucher – störe mich aber immer an solchen absoluten entwicklungen. warum kann es nicht beides geben??

    bist du aus bayern? ist dort die situation so, dass „non-food-kneipen“ überwiegend raucherlokale sind?

  9. Ich bin aus Bayern ja. Konkret Bamberg. Hier gibt es de facto keine kleine Kneipe, die nicht auch Raucherlokal ist. Und genau das ist eben der Punkt. Ich bin als Nichtraucher gezwungen, Mief und Atemnot zu tolerieren, wenn ich in eine Kneipe gehen will, um mich mit Freunden zu treffen und etwas zu trinken. Wenn ich soviel „Toleranz“ nicht habe, bleibt mir nur, daheim zu bleiben.

  10. Ich habe für den Bundesparteitag der ÖDP in Coburg Fragen formuliert und die in der ÖDP gestreut, wo ich Sebastian Frankenberger zur Rechenschaftsabgabe auffordere im Zusammenhang mit der Verfassungsbeschwerde von „Mehr Demokratie“, dem ESM, dem Fiskalpakt, dem Demokratieverständnis und der Satzungs- und Programmlage der ÖDP: http://viertuerme.blogspot.de/2013/03/sind-satzung-und-grundsatzprogramm-fur.html . Zum Bundesparteitag der ÖDP in Coburg werde ich die Fragen als Flugblatt verteilen, um Delegierte und Besucher mit dem Thema zu konfrontieren. Passt die Politik, die ich hier hinterfrage noch zu den Grundwerten der christlichen Soziallehre: Personalität, Solidarität, Subsidiarität und Gemeinwohl? Stehen ESM und Fiskalpakt nicht im Widerspruch zu diesen Begriffen?
    http://gloria.tv/?search=esm

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