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Posts Tagged ‘qualitätsjournalismus’

Warum Günther Jauch keinen „liebevollen Kontakt“ mehr zu seiner Mutter pflegt

In medien on 04/07/2011 at 08:19

Enten sind in der Welt von Yellow- und People-Press keine Seltenheit und in aller Regel nicht einmal erwähnenswert. Mitunter gelingt es den Best-Ager-Blättern aber, besonders kuriose Meldungen zu kreieren. Jüngstes Beispiel: Die Programmzeitschrift „die 2„. Das zur WAZ-Gruppe gehörige Blatt hatte kürzlich eine gewohnt prosaische Fotoreportage über Deutschlands beliebtesten Schwiegersohn der Kernzielgruppe von „die 2“ gedruckt und darin in blumigen Worten beschrieben, wie es um die familiären Verhältnisse im Hause Günther Jauch stehe. Unter anderem lobte die Zeitschrift den „bis heute liebevollen Kontakt“ zu seiner Mutter Ursula, die in einer Villa in der Nähe des Sohnes bei Potsdam lebe.

Das sieht der Millionärs-Moderator jedoch anders und setzte erfolgreich eine Unterlassung gegen den WAZ-Konzern durch. Doch damit nicht genug der Schmach: Nun muss „die Zwei“ außerdem eine Gegendarstellung drucken, in der Jauch erklärt, wie das Verhältnis zu seiner Mutter tatsächlich beschaffen ist. Und die ist an Skurilität nur schwer zu überbieten…

So erklärt Jauch die Hintergründe seiner juristischen Bemühungen gegen die Behaupten der Zeitschrift wie folgt: „Ich pflege zu meiner Mutter keinen Kontakt mehr. Sie lebt auch nicht in einem Altersheim unweit meiner Villa in Potsdam. Vielmehr ist meine Mutter vor sechs Jahren verstorben.“ Der Branchendienst Meedia hat bei der Chefredaktion um eine Stellungsnahme gebeten, sei aber abgewiesen worden. Stattdessen erklärte der Verlag, es sei „bedauerlicherweise ein Fehler unterlaufen, den wir selbstverständlich korrigieren werden“. Eine Wahl bleibt den WAZ-Leuten schließlich auch nicht, wenn Jauchs Anwälte erfolgreich aus allen juristischen Rohren feuern…

Zu „die 2“: Das TV-Programmheft landet wöchentlich Samstags beim Kiosk und zeichnet sich laut der WAZ-Gruppe durch seinen frühen Erscheinungstermin aus. Das Durchschnittsalter der knapp 300.000 (und zu 80% weiblichen) Leser liegt bei 56,6 Jahren. Wer wie Jauch auch einmal eine Stellungsnahme im Blatt abdrucken lassen möchte, ist bei einer ganzseitigen Farb-Anzeige mit 4.040 EUR dabei.

Medien-Alarm: Viele EHEC-Tote genesen nie mehr

In medien on 13/06/2011 at 11:24

Es wäre traurig, sich darüber lustig zu machen. Ganz ignorieren kann man den verbalen Faux-Pas der Nachrichtenagentur DPA und Dutzender vermeintlicher Leitmedien allerdings genauso wenig: Unter der Überschrift „Viele EHEC-Tote werden nicht mehr ganz gesund“ missversteht die Agentur eine Aussage des SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach, die dieser gestern im Gespräch mit der „Bild am Sonntag“ zu Protokoll gegeben hatte.

Ganz im Stile eines investigativen Spitzenportals übernimmt Fokus Online die Meldung ungeprüft (und vermutlich automatisiert) in den Nachrichtenticker. Das Originalzitat des SPD-Politikers lautete „Etwa 100 Patienten sind so stark nierengeschädigt, dass sie ein Spenderorgan brauchen oder lebenslang zur Dauerdialyse müssen“ – inhaltlich vermutlich unstrittig und eigentlich auch nicht besonders schwer zu verstehen.

Allein steht der Fokus mit dieser peinlichen Blind-Kopie des DPA-Tickers jedoch bei weitem nicht. Die Meldung wurde z.B. auch auf die Stern-Website gespiegelt. Außerdem findet sie sich bei n-tv, nordbayern.de, maerkische-allgemeine.de, pforzheimer zeitungaugsburger-allgemeine, südkurier und viele weitere. Google listet mittlerweile knapp 600 Kopien des Titels. Der unglückliche Umstand eines Feiertags am Tag nach der DPA-Meldung führt anscheinend in den heute völlig verwaisten Online-Redaktionen dazu, dass die Meldung volle zwei Tage online steht (Sonntag, 12.6. und Montag, 13.6.). Bleibt zu hoffen, dass die Redakteure nach ihrem erholsamen langen Wochenende den Fehler wenigstens finden und beheben – selbiges gilt natürlich auch für den Urheber der Meldung bei DPA. In jedem Fall fließt damit wieder reichlich Wasser auf die Mühlen der Qualitätsjournalismus-Debatte.

siehe auch: breitbach.info / opalkatze

beim „westen“ schreiben die pressesprecher ihre hohelieder selbst!

In medien, meinungen on 08/09/2010 at 10:42

„mega-erfolg“, „unglaublicher ansturm“, „riesen-erfolg“, „mehr als voll…

der autor des artikels „rock am stock ein mega-erfolg“ meinte es offensichtlich gut mit den veranstaltern einer ü60-party in isernlohn und lobte die organisatoren (campus symposium) und das ergebnis ihrer bemühungen sprichwörtlich über den klee. doch was auf den ersten blick wie eine harmlose lokal-meldung auf der nachrichtenseite „der westen“ aussieht, wurde in den kommentaren von user frank nur wenige stunden nach der einstellung des textes als krasse verquirlung von unabhängigem journalismus und der vertretung unternehmerischer unterdessen entlarvt…

der autor david lucas, seines zeichens schreiberling von 171 artikeln auf „der westen“, hat noch einen nebenjob. er ist pressesprecher des campus symposiums, also des veranstalters der „rock am stock“-party. das kann man sich in 10 sekunden zusammengooglen. in dieser funktion ist es schon weniger überraschend, dass sich seine kritik an den veranstaltern in sehr überschaubaren grenzen hält.

nun hört man ja oft genug, dass der lokal-journalismus unter mittelkürzungen leidet und das tagesgeschäft praktisch nur noch mit freien mitarbeitern abwickeln muss. dennoch, lieber westen: ein bisschen mehr fingerspitzengefühl bei der auswahl der beiträge bzw. deren autoren wäre wünschenswert – zumindest um den anschein seriösen und unabhängigen journalismus zu wahren. dem autor selbst muss man seinen kleinen moralischen irrweg vielleicht nachsehen. sein abi-zeugnis, das er in sein xing-profil (nur für mitglieder sichtbar) geladen hat, lässt anhand seines alters vermuten, dass herr lucas noch nicht über jahrzehntelange erfahrung im journalismus verfügt. also: alles halb so wild? mag für den autor gelten, für die zeitung mit sicherheit nicht.