stenographique

GAU bei der GEZ (updated)

In marketing, medien on 03/02/2010 at 15:02

„wir machen die gez zum besten freund und servicedienstleister der menschen da draußen!“ so oder so ähnlich muss es sich angehört haben, als die marketing-verantwortlichen der deutschen gebühreneinzugszentrale mit den kreativen köpfen der berliner werbeagentur media consulta im staubigen prunk-saal der pseudo-behörde zusammengesessen und das ziel der imagewandelnden kampagne besprochen haben.

die leute zahlen gerne für journalistische qualität„, wirft jemand ein. „der bildungsauftrag der öffentlich-rechtlichen muss ja irgendwie finanziert werden„, bemerkt ein anderer. „wir machen was lustiges, darauf fahren die deutschen ab„, schlägt ein dritter vor. und ein weiterer bemerkt: „und das setzen wir dann ins internet, so dass alle mitmachen können… web 2.0 und so. da fühlen sich alle wie ein teil von uns, das hab ich mal gelesen!

schwupps, da war sie da: die leitidee für eine revolutionäre und mutige integrierte kampagne, die das gesicht der bösen, ruppig geldeintreibenden gez in einen serviceorientierten und effizienten dienstleister wandeln soll. ein fernsehspot, eine internetseite, so einfach geht das. um allerdings zu erkennen, dass sich die zentrale mit ihrem vorstoß ins eigene bein geschossen hat, reicht auch ein flüchtiger blick auf das ergebnis, bevor man sich entweder vor lachen auf den boden wirft oder die hände vor fremdscham über dem kopf zusammenschlägt. sehen wir uns mal das bereits zitierte video an: klickstu

der aufwendig produzierte 30-sekünder zeigt einen boxkampf, der an die substanz geht: in slow-motion fließen schweißtropfen, harte schläge der tätowierten muskelpakete verformen das gesicht des gegners, nicht mal den mundschutz hält es an ort und stelle. nach einige runden ändern sich kameraführung, hintergrundmusik und ästhetik plot der szenerie grundlegend: die boxer fassen sich (so gut das mit den handschuhen geht) an den händen und tanzen walzer. ja, walzer. welche drogen sie zwischen der letzten kampf- und der ersten tanz-runde konsumiert haben, wird im spot nicht preisgegeben. fest steht aber: sie waren zu hart. oder die schläge gegen den kopf. oder beides.

mit dem slogan „die gez geht neue wege“ will man den leuten zeigen: schaut her! wir wissen selbst, wir haben uns mal wie terrier im blutrausch benommen, um euch den letzten cent für euer radio abzuquetschen. aber das ist jetzt vorbei: wir wollen jetzt tanzen und kuscheln und sind gar nicht mehr wie früher. wir gehen neue wege. schade ist nur, dass der spot weder ironisch noch lustig ist, aber beides sein will. ein desaster.

aber es kommt noch besser: herz der kampagne ist nämlich die internetseite http://gez-meine-meinung.de/. ob das ein satz sein soll, wie „bild dir deine meinung“, ist nicht bekannt. der name ist auch gar nicht das interessante. es geht um die anlage: die gez hat sich überlegt, dass das rundfunkgebührensystem einigen diskussionsstoff  enthält und lädt die interessierten internet-nutzer ein, lob/kritik/tadel direkt in expertenchats oder foren loszuwerden. sicherlich erhofft man sich sachliche und konstruktive kritik, um den gebühreneinzug noch effizienter gestalten zu können…

das tritt aber nicht ein. im gegenteil. nachdem die diskussion in den foren noch verhältnismäßig sachlich begann, entläd sich alsbald der über jahre angestaute frust über die pflichtabgabe, die augenscheinlich für völlig aberwitzige kampagnen verschleudert wird. die moderatoren greifen korrigierend ein und weisen auf die nutzungsbedingungen hin. das hält allerdings nur wenige davon ab, ihrem ärger weiter luft zu machen. viele werden unsachlich: schnell fallen worte wie „hass„, „rassisten“ oder „kriminelle„. manche fragen sich, ob es angesichts von jahreseinnahmen von rund 7mrd euro und gebührenfinanzierten formaten wie lindenstraße oder marienhof noch zeitgemäß sei, derart aggressiv mit den „kunden“ umzugehen. wäre da nicht mal ein format à la avatar oder herr der ringe als produktion der ard drin?

die diskussion gewinnt fahrt, die moderatoren kommen mit dem löschen kaum mehr nach… die experten meiden den live-chat aus angst vor der ungefilterten abneigung inzwischen völlig. damit bleibt nur noch das forum. immerhin hat die gez anscheinend eine plattform geschaffen, auf der sich wütende steuerzahler abreagieren können, so hat das ganze doch ein gutes. und das geld für die teure kampagne wird auch direkt wieder reingeholt: seit eben gerade ist es möglich, einen gelöschten kommentar gegen eine gebühr wieder sichtbar zu schalten – wunderbar: freie meinungsäußerung gegen klingende münze, das ist mitmach-web für alle. einige web 2.0-freaks haben es sich jetzt zur aufgabe unterhaltung gemacht, schneller als die moderatoren zu sein. hier wird im akkord gespammt, bis die tasten rauchen und die armen admins hinter ihren rechnern zusammenbrechen…

als summary: ein marketing-fail fast schon epischen ausmaßes. dass es so etwas noch gibt…
und einer hat’s schon von anfang an gewusst: noch vor dem ersten besuch auf der website, warnt mich mein browser (bzw. das im firefox installierte plug-in web-o-trust), dass die seite hochgefährlich sei und fragt zweimal nach, ob ich sie wirklich besuchen wolle! ich hab mir nichts gedacht und zugestimmt. jetzt aber wünsche ich mir, ich hätte darauf gehört…

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nachtrag 1: das refinanzierende „gebührenmodell“ der gez, war ein scherz eines users im forum. es gibt demnach keine möglichkeit, gelöschte artikel gegen gebühr wieder sichtbar schalten zu lassen (siehe kommentare).

nachtrag 2: heute wurden rund 290.000 neue artikel in wordpress-blogs veröffentlicht. im ranking der angesagtesten artikel hat es dieser text dabei auf platz 5 (screenshot) geschafft. ich freu‘ mich – danke an alle leser!!

nachtrag 3: anscheinend war keine kontinuierliche präsenz von experten im chat geplant. warum, weiß die gez allein. die nächste möglichkeit besteht am 22.2. mit adalbert von cramm (dank an björn). ich versuche, da zu sein!

  1. Großartig geschrieben 😀
    Und eine weitere Meisterleistung der GEZ 😉

  2. Dein Blogpost ist klasse!

    Nur eins verstehst du falsch. Die Geschichte mit gegen eine Gebühr den Beitrag wieder „freischalten“ lassen zu können, ist Käse. Das was du da gelesen hast, ist aus der Signatur des Users Iterator – und offentlich eine ironische Anspielung auf die GEZ-Methoden.

  3. Der Iterator provoziert und pöbelt sowieso nur in einem fort.

    Postet kurz vor Sendeschluss nur um seinen dämlichen gez-boykott Link im Forum wie seine Stinkmarke abzusetzen.

  4. Schöne Analyse, allerdings bleibt eine Frage. Du schreibst: „die experten meiden den live-chat aus angst vor der ungefilterten abneigung inzwischen völlig.“ Wieso das? Ich habe mir die Plattform seit dem ersten Tag angesehen (direkt als die ersten Posts drüber kamen) und noch nie etwas anderes gehört als, dass der erste Experten-Chat am 22. Februar stattfinden soll (mit Adalbert von Cramm).

    Das ist natürlich reichlich spät für so eine Einrichtung, und ungefiltert wird der Chat garantiert nicht sein – aber „meiden“ finde ich nicht passend, wenn der erste Chat sowieso nicht früher geplant war.

  5. danke für den hinweis – den ich auch von einem kollegen bekommen hatte und eigentlich seit tagen schon einarbeiten wollte. du hast natürlich recht – aber wer blickt denn bei dem medien- und grapevine-chaos noch durch? 😉

  6. Können Internet-Nutzer mit ihrer Meinungsmacht große Unternehmen düpieren?

    http://larsheinemann.wordpress.com/

  7. Da fragt man sich beim lesen ja schon, ob man nicht irgendwie auf den Kopf gefallen ist.

  8. Lustig, ich hätte garnicht gedacht das das *wirklich* so funktioniert. Komische Welt.

  9. […] PDRTJS_settings_907254_post_554 = { "id" : "907254", "unique_id" : "wp-post-554", "title" : "GEZ%3A+pauschal-keule+f%C3%BCr+das+staatsfernsehen", "item_id" : "_post_554", "permalink" : "http%3A%2F%2Fstenographique.wordpress.com%2F2010%2F06%2F10%2Fgez-pauschal-keule-fur-das-staatsfernsehen%2F" } nachtrag zu: GAU bei der GEZ (updated) […]

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